Bericht: Symposium zur Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt

Kulturpflanzen und Nutztiere sind die Grundlage unserer Ernährung und ein wichtiger Bestandteil der biologischen Vielfalt. Sie sind aber auch die Grundlage der kulturellen Vielfalt,  z.B. der Kulinarik verschiedener Kulturkreise. Die Domestikation der Kulturpflanzen und Nutztiere stellt eine Kulturleistung dar, die durch viele Generationen von Gärtnerinnen, Bäuerinnen und Züchterinnen über die letzten ca. 11 000 Jahre erbracht wurde.

Die Erhaltung und behutsame Weiterentwicklung dieser Kulturleistung stand im Zentrum des Symposiums für Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt, das vom 28.-30.11 in Witzenhausen, im Fachbereiche ökologische Agrarwissenschaften der Uni-Kassel, stattfand. Hier wurde die derzeitige Situation der Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt diskutiert, beispielhafte Projekte zu ihrer Erhaltung und Weiterentwicklung vorgestellt, sowie Ideen für zukünftige Projekte diskutiert. Die Gelegenheit habe ich mir nicht entgehen lassen und war mit dabei. Mit im Gepäck war das Bier meiner Nachbarn von Braustrom, dem sortenreinen Monohop Ale mit dem Cascade Hopfen (Ja, ich bin immer noch begeistert, aber es hat auch auf der Veranstaltung Anklang gefunden).

Hans-Joachim Bannier vom Pomologenverein stellte in seinem Vortrag „Die verrückte Kirschenwelt – Warum die besten Kirschensorten vom Markt verschwinden“ in eindrucksvoller Weise am Beispiel der Kirschen die Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt dar. Vor 1950 gab es im Handel ein breites Angebot verschiedener Kirschsorten, die regional angebaut wurden. Diese Sorten unterschieden sich vor allem in der Reifezeit. Es gab früh- und spätreife Sorten, um frische Kirschen über einen längeren Zeitraum anbieten zu können. Außerdem war die Sortenvielfalt eine Absicherung gegen Totalausfälle bei Pflanzenkrankheiten, deren Erreger oft an bestimmte Wirte angepasst sind. Zum großen Teil wurden Kirschen früher regional und direkt vermarktet oder für den Eigenbedarf verwendet. In den kalten Jahreszeiten gab es es keine frischen aber dafür konservierte Kirschen (Marmelade, eingekochte Kirschen). Dies hat sich ab 1950 drastisch geändert. Es entwickelte sich ein zentralisierter Lebensmitteleinzelhandel, der Kirschen auf dem Weltmarkt einkauft und so fast das ganze Jahr über den Konsumenten das Einkaufen frischer Kirschen ermöglicht. Regionale Vermarktung und Selbstversorgung spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Dadurch sind auch viele Kirschsorten vom Markt verschwunden. Dazu gehören die frühreifen Sorten, die auch weicher sind und sich so nicht für einen zentralisierten Handel und langen Transport eignen. Im Handel sind heute meist spätreife Sorten, die zu verschiedenen Zeiten aus verschiedenen Klimazonen der Erde importiert werden, um eine lange Versorgung mit frischen Kirschen zu gewährleisten. Dadurch fokussiert sich auch die Kirschenzüchtung hauptsächlich auf die spätreifen Sorten. Auch die hellen, sogenannten „Rotbunten“ Sorten sind weitgehend vom Markt verschwunden, da sie angeblich vom Verbraucher nicht so gut angenommen werden wie die dunkleren Sorten. Dabei sind unter den hellen Sorten viele mit besonders gutem Geschmack wie z.B. die „Große Prinzessin“. Außerdem sind, so Bannier, die hellen Sorten bekömmlicher als viele der modernen Sorten und sogar besser verträglich für Allergiker.

 

Die Kirschen stehen beispielhaft dafür, wie sich die Züchtung entwickelt: Sie wird überwiegend von Unternehmen durchgeführt, die die Sorten und Rassen optimieren, um den Anforderungen der industriellen Landwirtschaft, der industriellen Lebensmittelverarbeitung und internationaler Märkte zu entsprechen. Dabei zeigen sich zunehmend die massiven ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Probleme, die ein pervertiertes industrielles Ernährungssystem verursacht. Für eine Stärkung regionaler Versorgungssysteme können die „alten“ Kirschsorten eine große Rolle spielen, da sie an ein solches Versorgungssystem angepasst sind (z.B. durch ihre frühe Reife). Noch stehen viele alte Kirschbäume in der Landschaft (rund 400 Sorten), aber es sind einige Anstrengungen nötig um diese Vielfalt mit ihrem Potential zu erhalten.

Michael Stork vom Verein für Nutzpflanzenvielfalt (VEN) berichtete von den Erfahrungen seines Projektes zur Erhaltungszucht von Zwiebeln. Er besorgte sich Saatgut aus der Genbank im Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung als Ausgangsmaterial. Dies säte er mit einer Reihe von Unterstützern in verschiedenen Gärten aus. Dabei zeigte sich, dass innerhalb der Sorten eine große Variabilität vorhanden war, z.B. Zwiebeln mit einem gespaltenem Körper, die dazu neigen während der Lagerung zu faulen. Solche Sorten müssen züchterisch erst stark bearbeitet werden, um in die Nutzung überführt zu werden.

Dies liegt daran, dass aufgrund des enormen Umfangs der Genbank kaum züchterische Arbeit geleistet werden kann. Die Genbank ist hauptsächlich damit beschäftigt keimfähiges Saatgut zu erhalten. Dabei werden die Samen gekühlt gelagert und in sortenspezifischen Abständen ausgesät um neues Saatgut zu gewinnen, da es auch gekühlt nur eine begrenzte Lebensdauer hat. Da bei der Aussaat kaum züchterisch selektiert wird, verlieren die Sorten so ihre wertgebenden Eigenschaften und die Jahrtausende lange Domestikationsleistung geht verloren. Dies verdeutlicht, dass die Arbeit der Genbank durch die Arbeit von Züchtern ergänzt werden muss.  Diese Arbeit sollte aber nicht nur in der Hand großer Züchtungsunternehmen liegen, die Kulturpflanzen ausschließlich für eine industriell orientierte Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung optimieren. Hier können zivilgesellschaftliche Organisationen wie der VEN ergänzend wirksam werden. Allerdings erfordert diese anspruchsvolle Aufgabe Ressourcen, die nicht allein durch das ehrenamtliche Engagement erbracht werden können.

Ursula Reinhard und Gerhard Roth stellten die neue Saatgutdatenbank des VEN vor, in der die Kulturpflanzen erfasst sind, die von dem VEN Netzwerk erhalten werden. Die Datenbank enthält wichtige Informationen, wie eine Sortenbeschreibung und Fotos, vor allem aber auch die wertgebenden Eigenschaften, das heißt was ihre Vorteile sind (z.B. guter Geschmack, guter Ertrag, Reifezeitpunkt). Über die Datenbank kann man das Saatgut bei den einzelnen Erhaltern bestellen.

 

Schließlich wurde es noch politisch, mit einem Beitrag von Susanne Gura und Andreas Riekeberg vom VEN. Die neue EU Saatgut-Verordnung wurde im März diesen Jahres vom Parlament zurückgewiesen. Ein Grund war die überzeugende Kritik vieler Initiativen und Erhalter-Organisationen, die durch die Reform eine inakzeptable kommerzielle Beherrschung des lebensnotwendigen Kulturgutes Saatgut befürchteten. Jetzt muss man abwarten, wie die EU Kommission weitermacht (Totalrevision oder kleinere Änderungen).

Ein weiteres Thema war die Vereinnahmung des Begriffes Biodiversität von der Saatgutindustrie. Ihrer Auffassung nach gehören dazu auch Organismen, die durch Züchtungsmethoden geschaffen wurden, die auf dem Einsatz biotechnologischer Methoden beruhen. An dieser Stelle eine kleine Einschätzung von mir: Der Begriff der biologischen Vielfalt wird üblicherweise definiert als die Vielfalt der Arten, genetischer Vielfalt und Vielfalt der Ökosysteme. So definiert schließt er auch biotechnologisch erzeugte Organismen ein. Er nimmt keinen expliziten Bezug auf die Entstehung der Vielfalt. Allerdings könnte man Biodiversität auch als das Ergebnis natürlicher Evolution verstehen, in Abgrenzung zu biotechnologisch erzeugten Vielfalt. Dies schließt dann aber auch die Vielfalt der Kulturpflanzen und Nutztiere von der biologischen Vielfalt aus, da diese durch Domestikation und nicht natürliche Evolution entstanden sind. Denkbar wäre eine Abgrenzung durch die verschiedenen Züchtungstechniken, von denen einige zu dem führen was man als Kulturpflanzenvielfalt bezeichnet, während andere Methoden zu einer “biotechnologischen Diversität” führen. Dieses Thema sollte in Zukunft weiter diskutiert werden, insbesondere mit Blick auf Fördermaßnahmen im Bereich Agrarwirtschaft und Forschung, die auf das Konzept Biodiversität Bezug nehmen (ein Dossier zum Thema welche Züchtungstechniken z.B. im ökologischen Landbau akzeptabel sind findet man hier).

Auch vorgestellt wurde die neue Initiative Nyelini Deutschland, die die Ernährungssouveränität fördern möchte. Bei Ernährungssouveränität geht es um eine souveräne, also selbstbestimmte Ernährung. Dies schließt sowohl die Unabhängigkeit von Landwirten als auch Konsumenten ein, die nicht von der Saatgutindustrie, der Pestizidindustrie und der Lebensmittelindustrie  fremdbestimmt werden. Hier gibt es durchaus Anknüpfungspunkte zu Saatgut-Initiativen wie dem VEN.

Auf einer Exkursion rund um Witzenhausen haben wir uns alte Nutztierrassen angeschaut, darunter das Wallachen Schaf und das Rote Höhenvieh, die von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen erhalten werden. Es sind wirklich schöne Tiere und für einen Städter wie mich etwas Besonderes solche Tiere ganz lebendig und “am Stück” zu sehen anstatt als Gulasch in der Plastikpackung.

Bericht von Johannes Timaeus

Quelle und Bildergalerie: kochkultur-leipzig.de