Verleihung der Ehrenmitgliedschaft anläßlich der Mitgliederversammlung 2012
Liebe Frau Reinhard, liebe Mitglieder,
wir haben heute die große Ehre, die Verdienste und Leistungen von Ursula Reinhard in einem Abschnitt ihres Lebens vor Augen zu führen, der dem Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt gewidmet ist.
Das Leben von Frau Reinhard ist geprägt von ökologischem Engagement, von Ausdauer und von Verantwortung.
Ihre Berufsausbildung wählte sie in der Pharmazie und schloss nach der Kinderpause ein Biologiestudium an.
Die Botanik stand dabei nicht im Vordergrund, sondern Gewässerökologie und -zoologie. Frau Reinhard war eine der Pionierinnen in diesem Fach und auch eine der ersten freiberuflichen BiologInnen. Sie bekam Aufträge in Dorferneuerungsprogrammen, und sie begann sich immer mehr für Landwirtschaft und Gartenbau zu interessieren. Von Freunden bekam sie eine frühe Ausgabe der VEN-Publikation „Samensurium“, hat sie interessiert gelesen, in den Schrank gestellt und wurde VEN-Mitglied. Das war 1994.
Frau Reinhard ist ein wissbegieriger Mensch und ging 1995 zu einem Vortrag des VEN-Gründers Ludwig Watschong. Außerdem suchte sie zu dieser Zeit nach einer neuen sinnvollen Aufgabe, denn ein schwerer Unfall hatte ihrem Leben eine neue Wendung gegeben, oder ihr sogar ein zweites Leben geschenkt.
Der VEN befand sich damals in einer Krise. Die Hälfte seiner Kräfte hatte den Vorstand verlassen. Frau Reinhard war am Morgen nach dem Vortrag in der anschließenden Mitgliederversammlung, trotz ihrer Vorbehalte gegenüber Vereinsmeierei. Es war ein Glück für den VEN, dass sie sich kurzfristig entschlossen hat, für den Vorstand zu kandidieren.
Sie bliebt 15 Jahre lang im Vorstand. Das war etwas völlig Neues für Frau Reinhard, und als Erstes musste sie den Verein bei einer Konferenz der Vereinten Nationen repräsentieren, nämlich 1996 in Leipzig.
Diese Jahre des Aufbaues waren spannend. Internet und Telefonkonferenzen waren noch nicht verbreitet, alles lief über die seltenen persönlichen Treffen.
Ursula Reinhard hat sich intensiv ans Sammeln, Beschreiben, Vermehren und Weitergeben von Sorten gemacht. Die Anzahl Sorten in der Samenliste wuchs jedes Jahr. Heute sind ca. 6000 Herkünfte von rund 800 Arten in der Datenbank, eine Menge, die kaum eine andere Organisation überbieten kann. Hinzu kommen die Beschreibungen, die in diesem Detail über viele andere Datenbanken weit hinaus gehen.
Ihren Wissensdurst hat sie auch mit Forschungen über die Gemüse des Jahres gestillt. Eine Bibliothek entstand.
Wichtig für Frau Reinhard ist aber auch ihre eigene Arbeit und Erfahrung mit den Sorten und der Austausch darüber mit anderen Menschen. Sie begann, Saatgutmärkte zu veranstalten, denn der Versand allein machte sie nicht zufrieden. Lieber ist ihr das Gespräch.
Dabei kann Frau Reinhard sehr oft richtig einschätzen, was die Menschen für den VEN beitragen können und wollen. Sie kommuniziert mit dem Herzen, könnte man sagen. Die Erfahrung zeigt – allzu genau auf Worte hören führt manchmal in die Irre. Was gemeint ist, das ist entscheidend.
Es kamen Ausstellungen hinzu, Vorträge, schließlich wurde der Tag der Kulturpflanze eingerichtet.
Die Saatgutliste kam dabei jedes Jahr heraus, und jedes Jahr umfangreicher. Mehrere Monate konzentrierter Arbeit sind dafür erforderlich. Diese Arbeit hat Frau Reinhard überwiegend allein gemacht, und zwar ehrenamtlich.
Rückschläge gab es dabei reichlich. Es war oft schwierig, neue Engagierte für die Vorstandsarbeit zu finden. Wer schreibt schon gern Protokolle, wenn er oder sie eigentlich gärtnern und Sorten pflegen möchte? Man überlegte, die Vereinsform aufzugeben, sich Arche Noah oder Pro Spezie Rara anzuschließen, und blieb dann doch als Verein bestehen. Ein großes Projekt des VEN, ein eigener Samengarten, stand kurz vor der Verwirklichung und scheiterte dann doch. Das Samensurium musste aus Zeitmangel oft verschoben und vieles andere Wünschenswerte konnte nicht umgesetzt werden.
Vor allem hatte Frau Reinhard zu wenig Zeit, ihren Einsatz zu dokumentieren und das Erreichte zu feiern. Kaum jemand wusste, dass die hoch qualifizierte Arbeit des VEN nur auf Ehrenamt basiert – viele staunten nicht schlecht, als sie davon erfuhren. Ursula Reinhards Arbeit ist genauso unbezahlbar wie die Nutzpflanzenvielfalt. Trotzdem ist zu wünschen, dass nicht alles immer nur ehrenamtlich bleibt, und daran arbeiten wir nebenbei auch.
Inzwischen gibt es kaum noch Aktivitäten, über die man sich nicht auf unserer Webseite, in unserem Mitteilungsblatt „Blattwerk“ oder im Jahresbericht informieren kann.
Frau Reinhard hat inzwischen ihre Vorstandsverpflichtungen abgegeben, nun kann sie sich viel besser auf die inhaltliche Arbeit, vor allem natürlich die Sortenerhaltung und Wissensvermittlung konzentrieren. Die Pflege und Weitergabe des Wissens ist ein wichtiger Bestandteil der Erhaltung. Frau Reinhard hat den neuen Spielraum intensiv genutzt, um zusammen mit anderen Aktiven die Sortenpatenarbeit zu entwickeln und Erhalterseminare anzubieten. Auch die Saatgutseminare werden jetzt intensiviert, und wir hoffen, dass sich der VEN bald auch in der Bildungsarbeit umfangreicher engagieren kann. Denn die wichtigsten Grundlagen der Samengärtnerei fehlen inzwischen fast völlig in unserem Bildungswesen. Kaum ein Kind weiß, dass man aus Bohnen oder Erbsen eine Pflanze ziehen kann. Ein Bohne macht nicht satt – eine Pflanze dagegen bringt so viele Bohnen, dass man daraus eine Suppe für die ganze Familie kochen kann. Bei der beruflichen und wissenschaftlichen Bildung genauso:
Ältere ExpertInnen bedauern heute, dass der Nachwuchs die Genome der Pflanzen viel besser kennt als die Pflanzen selber.
Nicht zu vergessen ist auch Ursula Reinhards Einsatz auf der politischen Ebene für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt in den Gärten und die Gentechnikfreiheit des Saatgutes. Sie hat sich für die Gründung der Interessengemeinschaft Gentechnikfreie Saatgutarbeit eingesetzt und auch für die Gründung des Dachverbands Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt, damit die politische Arbeit von mehreren Organisationen gemeinsam getragen werden kann.
In einer Zeit, die sehr stark vom Verlust der Sorten geprägt war, hat sich Frau Reinhard mit Energie dagegen gestemmt und viele Sorten über viele Jahre hinüber gerettet in die Gegenwart, in der endlich das Bewusstsein für deren Wert gewachsen ist.
Für Frau Reinhard ist Kontinuität wichtig, nicht einzelne Erfolge. Zu ihrer Herangehensweise gehört auch:
Wenn man positive Energien hineinsteckt, entwickeln sich die Dinge zum Positiven.
Liebe Frau Reinhard, es macht große Freude, aus Ihrem Leben zu erfahren. Die Ehrenmitgliedschaft des VEN ist das Wenigste, was der VEN tun kann, um sich bei Ihnen für ihren jahrelangen Einsatz zu bedanken.
Wir möchten Ihnen diese Ehrenurkunde überreichen.
(Susanne Gura, 1. Vorsitzende)
Laudatio für Barbara Féret, Ehrenmitglied des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt
Heute würdigen wir Barbara Féret als Ehrenmitglied des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt in einer Feierstunde. Die Mitgliederversammlung hat bereits 2018 in Wetzlar die Ehrenmitgliedschaft beschlossen; die feierliche Überreichung der Urkunde findet hier und heute statt.
Ich freue mich sehr, dass ich die Laudatio halten darf. Wir haben sieben Jahre lang gemeinsam als Vorsitzende den Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt geführt. Zu dieser Laudatio haben auch mehrere weitere Aktive erheblich beigetragen: Dorothea Wamper, Elvira Artmann und Johanna Albertsen – sie alle waren selbst Mitglieder des Vorstands und haben Barbara Féret in Aktion erlebt.
Barbara Féret ist dem VEN schon lange und aktiv verbunden. Seit 1993, seit mehr als drei Jahrzehnten ist sie im VEN. Es gibt nur noch sieben Mitglieder der bundesweit über 1000, die noch länger dabei sind. Schon während ihres Studiums der Ernährungswissenschaften ist Barbara Féret dem Gründer des VEN Ludwig Watschong begegnet. Nach ihrer landwirtschaftlichen Erfahrung auf dem elterlichen Bauernhof in Unterfranken öffnete sich für sie eine Tür in eine andere Welt: Es gibt noch etwas anderes als Hybridsorten, Industrialisierung, Höfesterben. Ihre Motivation für ihr Engagement im VEN kommt schlicht und einfach aus der Vielfalt der Sorten und ihren hervorragenden Eigenschaften für Gesundheit, Natur und Gesellschaft, das ist das, was sie überzeugt hat.
Was sie alles für den VEN getan und erreicht hat, und auch und vor allem wie sie gewirkt hat, das soll heute mit der Ehrenurkunde gewürdigt werden.
Es geht dabei gar nicht so sehr direkt um die Vielfalt der Nutzpflanzen, sondern vielmehr um die Menschen, die die Nutzpflanzenvielfalt erhalten. Ohne Menschen, die sie anbauen, vermehren und verwenden können, würden die meisten Kulturarten ja gar nicht lange überleben. Vielfaltserhaltung geht nur gemeinsam und mit allen Generationen und Charakteren zusammen.
Da sind wir schon bei einem sehr wichtigen Punkt. In der Zusammenarbeit ist der Weg zu einer tragfähigen Entscheidung nicht nur eine Abstimmung „wer ist dafür, wer dagegen, wer enthält sich“. Positionen müssen ausgesprochen werden, und dazu gehören auch die Motive. Nur so können, und das ist eine von Barbara Férets großen Stärken, Kompromisse ausgehandelt werden. Bei dieser Suche nach Kompromissen hat sie die Aktiven im VEN ganz entscheidend unterstützt und bestärkt.
Barbara Féret kann sehr gut Frieden stiften. Manche Dinge auszusprechen ist gar nicht so einfach. Sie ist ein Muster an Taktgefühl, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit. Sie ist prinzipientreu, ohne dabei nervig zu sein. Sie ist optimistisch, ohne unrealistisch zu sein. Sie ist eloquent, aber sie hört auch anderen gut zu. In einem Team zusammen mit Barbara Féret arbeitet man gern. Und sie hat einen Humor und ein Lachen, das man erlebt haben muss.
Insgesamt war Barbara Féret dreizehn Jahre lang Mitglied des Vorstands unseres Vereins. Von 2011 bis 2018 war sie Zweite Vorsitzende. Zuvor war sie schon von 2005 bis 2009 im Vorstand. In dieser Zeit hat sie, gemeinsam mit anderen, unser Mitgliedermagazin, das Blattwerk, gegründet, dessen Namensgeberin sie auch ist. Das Blattwerk trägt seither viel zur Information der Mitglieder und von Interessierten bei und damit zur Attraktivität des VEN. Barbara Féret war für das Mitgliedermagazin bis 2017 verantwortlich und hat es mit ihren Konzepten bis heute geprägt.
Barbara Féret hat sich in Bereichen der Vereinsarbeit engagiert, die eher unbeliebt sind, ohne die aber nichts richtig funktioniert. Vielleicht weil dabei ihre emotionale Motivation für die Nutzpflanzenvielfalt so ansteckend ist, hat sie viele Mitglieder für ihre Vorschläge interessieren und davon überzeugen können. Ihre gründlichen Recherchen und treffenden Analysen haben bewirkt, dass in diesem ehrenamtlich arbeitenden Verein klare Strukturen geschaffen wurden, die sich inzwischen schon viele Jahre bewährt haben.
Ein paar Beispiele: Das Wort „Ordnung“ hat im Vereinsrecht große Bedeutung, aber es muss in der Satzung verankert sein. Barbara Féret hat dafür gesorgt und auch im Weiteren die entscheidende Arbeit zur Erstellung von Ordnungen und Regelungen geleistet.
Ein anderes Beispiel ist die wegen der Logistik ziemlich spezielle Regelung für die Nutzung der Bibliothek (die übrigens eine wirklich interessante Sammlung von Werken über Nutzpflanzenvielfalt beherbergt und sehr gut verschlagwortet ist).
All dies trägt ihre Handschrift.
Es gibt sicherlich kaum jemand im VEN, der an mehr Mitgliederversammlungen teilgenommen hat als sie. Viele Jahre lang hat sie als Schriftführerin die Protokolle der Mitgliederversammlungen und Vorstandssitzungen erarbeitet. Als sie Zweite Vorsitzende wurde und die Aufgaben wuchsen, kamen dem Vorstand diese Erfahrungen sehr zugute. Man konnte sich drauf verlassen, dass alles gut vorbereitet war und dass alles Wichtige dokumentiert wurde.
Transparenz, geregelte Abläufe und gleiche Rechte und Pflichten für alle können Unklarheiten vermeiden und Reibungsverluste verringern. Darauf hat Barbara Féret großen Wert gelegt. Der VEN hat von ihrer strukturellen Wirkung erheblich profitiert. Eine ganze Reihe Mitglieder wurden motiviert, ihre ehrenamtlichen Kräfte beizutragen.
Aber nicht nur das.
Um die fachliche Arbeit im Verein besser zu strukturieren, hat sie eine Umfrage bei den Mitgliedern nach ihrer Erhaltungstätigkeit mitkonzipiert, mit umgesetzt und mit ausgewertet. Tatsächlich wurde die Erhaltungsarbeit völlig neu aufgebaut, mit Fachgruppen und Sortenerhalterringen. Inzwischen arbeiten Fachgruppen für Tomate, Bohne, Mais, Radieschen, Rote Bete und Zwiebel, also nicht nur für die einfacher zu vermehrenden einjährigen Selbstbefruchter, sondern auch für Fremdbefruchter und Zweijährige.
Jetzt kommt Barbara Férets kreative Seite: Sie hat an der Entwicklung des Designs der aktuellen Webseite mitgearbeitet; der Anstoß für das Pastinakendesign kam von ihr. Sie hat sich dabei mit Begeisterung für etwas überhaupt nicht Modernes eingesetzt, nämlich für historische botanische Kunst. Die neue Webseite wurde mit vielen technischen und inhaltlichen Neuerungen ausgestattet und nach einem Kupferstich eines berühmten botanischen Künstlers aus dem 18. Jahrhundert, Jacob Sturm, gestaltet.
Nicht zuletzt hat Barbara Féret mit Freude zugepackt, wenn es Feiern rund um die Nutzpflanzenvielfalt gab, beispielsweise die mit den Jahren immer größer wachsenden Saatgutfestivals, und auch das 25. Vereinsjubiläum.
Feiern mit Barbara Féret macht Spaß! Wir haben uns lang auf diesen Tag gefreut, an dem wir ihr jahrzehntelanges intensives Engagement im Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt würdigen können.
Barbara Féret erhält ihre Ehrenurkunde mit größtem Dank der Mitglieder des VEN.
Laudatio für Susanne Gura, Ehrenmitglied des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt
Gehalten am 18. August 2024 im Poppelsdorfer Nutzpflanzengarten der Universität Bonn
Von Barbara Féret
Ich habe die große Freude, eine Laudatio auf einen außergewöhnlichen Menschen zu halten. Auf Frau Dr. Susanne Gura.
Mit ihr durfte ich einige Jahre in der recht ereignisreichen und manchmal auch sehr fordernden Vorstandstätigkeit in unserem Verein zusammenarbeiten. An dieser Stelle möchte ich auch erwähnen, dass in diese Laudatio neben den meinen auch die guten Erfahrungen anderer Mitglieder mit eingeflossen sind und dass an der Ausarbeitung Elvira Artmann mitgewirkt hat.
Die Mitgliederversammlung 2023 in Hamburg hat Susanne Gura die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Anlass war die Beendigung ihrer 13jährigen Vorstandsarbeit und das Bewusstsein, dass ihr mit ihrem Einsatz dem Verein so viel gegeben hat, dass ihr diese Auszeichnung unbedingt gebührt.
Zum VEN kam Susanne Gura aus den übergeordneten, globalen Zusammenhängen, der internationalen Agrarforschung und deren Förderung. Sie war tätig als Beraterin für internationale Agrarpolitik, insbesondere zum Thema Biologische Vielfalt in der Landwirtschaft.
In ihrem Studium der Ökotrophologie an der Universität Bonn und einer anschließenden Zusatzausbildung hatte sie den Schwerpunkt der Entwicklungspolitik gewählt, ihre Dissertation mit einem Thema in der Agrarsoziologie gemacht und zwar zur Rolle der Frau in der ländlichen Entwicklung in Sumatra.
Durch diesen internationalen Ansatz ist sie zur Welternährungsorganisation FAO in Rom gekommen, hat 10 Jahre lang Agrar- und Entwicklungsministerien beraten, um dann in die Zivilgesellschaft umzusteigen und zahlreiche Organisationen bei Konferenzen zu Themen wie Klima, Vielfalt und Landwirtschaft zu vertreten.
Beruflich war sie vor ihrem Ruhestand zuletzt in dem globalen Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen APREBES tätig, das sich für Pflanzenzüchtung zum Wohle der Gesellschaft, die bäuerlichen Rechte auf pflanzengenetische Ressourcen und die Förderung der landwirtschaftlichen Biodiversität einsetzt.
Während dieser Zeit erkannte sie zunehmend die große Bedeutung der Zivilgesellschaft beim Schutz landwirtschaftlicher Biodiversität und wurde um die Jahrtausendwende sowohl Mitglied bei der GEH, der Gesellschaft zur Erhaltung der Haustierrassenvielfalt als auch beim VEN.
Als dann 2008 in Bonn, ihrer Heimatstadt, die Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über Biologische Vielfalt stattfand, hat sie auf dem Münsterplatz einen Markt der Vielfalt organisiert, an dem Ursula Reinhard vom VEN teilnahm und so haben sich die beiden persönlich kennengelernt. Der Anfrage im Jahre 2009, ob sie für den Vorstand kandidieren möchte, ist sie, wie sie es selbst formuliert hat – sehr gern – nachgekommen.
Mit ihren vielfältigen Erfahrungen und ihrem umfangreichen Wissen war dies ein riesiges Glück für die weitere Entwicklung des VEN. Und von Anfang an hat sie sich mit enorm viel Kraft, Zeit und – auch Freude - für die Ziele und alle sonstigen Belange des Vereins eingesetzt.
Dabei hat sie das schon Bewährte und die Arbeit derer, mit denen sie bereits im Vorfeld zusammengearbeitet hatte, aufgegriffen und weitergeführt. Namentlich zu nennen sind etwa Weggefährten und Kollegen, die die Sache der Saatgutvielfalt ebenfalls auf den Weg brachten, wie Pat Mooney und Bernward Geier sowie Amtsvorgänger und -vorgängerinnen, wie Ludwig Watschong, unserer Vereinsgründer, der leider schon verstorben ist und unsere langjährige Vorsitzende Ursula Reinhard, ebenfalls Ehrenmitglied des VEN.
In ihrer Zeit als Erste Vorsitzende von 2009 bis 2022 konnte sich unser Verein als Organisation merklich konsolidieren und wuchs von 400 auf 1200 Mitglieder an. Susanne Gura hat sich dauerhaft um den Aufbau von geeigneten Strukturen, um spürbar konstruktive Zusammenarbeit und um die Dokumentation der Aktivitäten gekümmert, respektive diese verantwortet. Dadurch konnten viele Bereiche im Verein wachsen oder sich umstrukturieren.
Sie hat die beginnende Digitalisierung unterstützt, hierunter fällt z.B. der Aufbau der Online-Saatgutliste, die Modernisierung der Webseite und die Einführung der Software für die Mitgliederverwaltung sowie die Katalogisierung der Vereinsbibliothek. Seit der Corona-Phase dann auch weiter verstärkt die Online-Kommunikation.
Die zentral betreute Sortenerhaltung per Patenschaften wurde hin zum erfolgreichen, dezentralen Modell der Erhalterringe umgebaut, in denen nun auch einige Fremdbefruchter gemeinschaftlich erhalten werden. Die Anzahl der Regionalgruppen konnte sich verdreifachen. Den Aufbau der Fachgruppen und anderer Arbeitsgruppen, wie die AG Gemüse des Jahres und die AG Bildung hat Susanne Gura unterstützt und teilweise aktiv in ihnen mitgewirkt. Bildungsvorträge oder -seminare zu verschiedenen Erhalter- und Saatgutthemen in Präsenz oder Online fanden vermehrt statt.
Saatgutfestivals mit Märkten, Workshops und Vorträgen hat sie mit initiiert, organisiert oder daran teilgenommen. Diese sind inzwischen beliebte Feste des Miteinanders und des Kontakts zur Öffentlichkeit. Die Mitgliederversammlungen wurden mit ansprechendem Rahmenprogramm gut vorbereitet, durch die Einführung von Vereinsordnungen und der Satzung die Organisation des Vereins gestärkt, Jubiläumsfeiern des Vereins wurden organisiert, u.a. mit Vandana Shiva als Gastrednerin zu unserem 25 jährigen Jubiläum in Witzenhausen.
Das Mitgliedermagazin Blattwerk für die Kommunikation mit den Mitgliedern und die Pressearbeit für die interessierte Öffentlichkeit gediehen. Ehrenamtliche Verwaltungsarbeiten wurden vermehrt in bezahlte Arbeit überführt, wie dem Mitgliederbüro, dem Versand und dem Saatgutlager für die Ringsorten.
Dabei hatte sie immer die Vereinsziele, die Anforderungen des Finanzamtes sowie die Haushaltslage und die Mitglieder mit kleinem Budget im Blick. Der Mitgliedsbeitrag musste trotz zunehmender Aktivitäten in diesen Jahren nicht erhöht werden.
Bei all dem war Susanne Gura natürlich nicht alleine tätig. Sie hat immer Wert darauf gelegt, die Mitglieder zur Mitarbeit zu gewinnen, die sich in die für sie passenden Bereiche einbringen und dort entfalten können. Es ist gelungen. Die Qualität der Arbeit und das Renommee des VEN sprechen dafür Zeugnis.
Den vielen Aktiven gebührt an dieser Stelle ebenfalls großer Dank. Und Ich weiß, dass dieser Dank in ihrem Sinne ist, denn Respekt und Würdigung der Arbeit der Mitglieder war ihr immer wichtig. Vielfach haben die Aktiven sie positiv in Kommunikation und Arbeitsweise erleben dürfen: freundlich und unterstützend, respektvoll im Umgang, klar kommunizierend und gut strukturiert, dabei stets das Ganze im Blick behaltend; aufgeschlossen gegenüber neuen Ideen, aber auch überprüfend, ob sie mit den Vereinszielen übereinstimmen und sich an den Werten des Vereins orientieren.
Sie hat sich für Diskussionen Zeit genommen und wollte auf der Basis von Fakten überzeugen. Beschlüsse sollten zur Zufriedenheit aller gefällt werden können. Alle in die Entscheidungsprozesse einzubinden war ihr immer sehr wichtig. Der Umgang mit ihr konnte inspirieren.
Sie ist bekannt und geschätzt für ihr Wissen und ihren politischen Einsatz, ihre Kenntnisse der Prozesse und Vernetzung beim internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen UPOV, den Vereinten Nationen, der EU-Gesetzgebung rund um Saatgut.
Susanne Gura ist wirklich eine Ausnahmepersönlichkeit.
Und wenn es etwas durchzusetzen gilt – sie gibt nicht auf.
Daher gab es auch Konflikte, was nicht ausbleibt bei starken Persönlichkeiten, die etwas voranbringen. Als zum Beispiel die Universität ihrer Heimatstadt Bonn ihren über 200 Jahre alten Nutzpflanzenlehrgarten überbauen wollte, hatte sie nicht mit Susanne Gura gerechnet. Was 2010 mit der Gründung einer Bürgerinitiative zur Erhaltung des Poppelsdorfer Nutzpflanzengartens begann, hatte 2017 Erfolg, als die Universität von ihrem Vorhaben Abstand genommen hat. Bis dahin waren viele Schreiben, Gespräche, Kontakte zu Mitstreitern und Mitstreiterinnen, Besuche, Resolutionen und Mobilisierungen notwendig. Sogar die Unterstützung des Protestes durch Vandana Shiva, Pat Mooney und GRAIN, drei Trägern des alternativen Nobelpreises, wurde eingeholt.
Alle Beteiligten sind nun um einen schönen Garten reicher geblieben.
Dieses Beispiel zeigt auch, dass sie zusätzlich zu ihrem Arbeitseinsatz für den VEN auch noch für andere Einsätze zum Schutz der Vielfalt zur Verfügung stand und steht. Maßgeblich mitgewirkt hatte sie z.B. auch 2009 bei der Gründung des „Dachverband zur Erhaltung der Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt“. Auch hier spielte dein Interesse an Kooperation, Vernetzung und politisch wirksamer Öffentlichkeitsarbeit eine zentrale Rolle. 2009 bis heute im Vorstand des Dachverbands erfüllt sie gemeinsam mit anderen dessen wichtige, zwischen Erhalterorganisationen und Behörden vermittelnde Scharnierfunktion.
Überhaupt Scharnierfunktion: Susanne Gura kann - wie kaum jemand - die übergeordneten Ebenen mit den kleinteiligen Angelegenheiten des Alltagsgeschehens verschränken, die politischen Notwendigkeiten mit dem Aufbau einer zivilgesellschaftlichen Entwicklung und umgekehrt.
Nichts bleibt bloßer Appell. Es gibt immer Lösungen.
Zum Ende ihrer Zeit im Vorstand konnte die Bildungsarbeit, neben der Erhaltungsarbeit das zweite wichtige Vereinsziel, spürbar weiter vorangebracht werden. Das orientierende Bildungsprojekt des Dachverbandes „Vielfalt bewahren – wie geht das“ hat sie schon 2016 ins Leben gerufen, die AG Bildung wurde im VEN gegründet, arbeitete daran weiter und bot nun auch viel besuchte Online-Vorträge an. Ausgehend von der Mobilen Saatgutbibliothek Schleswig-Holstein hat sie das Bibliotheksprojekt „Saatgut leihen – Vielfalt ernten“ auf Vereinsebene angeschoben, auch dies mit der Absicht, die Bildungsarbeit zur Vielfaltserhaltung in der Gesellschaft besser zu etablieren.
Über ihre Zeit als Erste Vorsitzende des VEN hat sie einen Bilanzartikel im Oktober 2022 verfasst, der im Blattwerk Nr. 37 veröffentlicht ist. Wer mehr zu ihrer Arbeit erfahren möchte, dem sei dieser Artikel ans Herz gelegt.
Zum Glück bleibt sie dem VEN in der Bildungsarbeit, in der Regionalarbeit und in der politischen Vertretung weiterhin als wichtige Stütze erhalten. Wir sind sehr froh, dass der VEN sie im Vorstand hatte und dass sie sich auch weiterhin innerhalb und außerhalb des Vereins für die Sache der Vielfalt und ihrer Erhalter und Erhalterinnen einsetzt.
Lebendig, ökologisch und unabhängig.