Nur mal kurz die Welt retten?

Es ist vermutlich das Schicksal aller Projekte, dass sie schnell, kostengünstig und in guter Qualität realisiert werden sollen. Ich habe noch kein Projekt erlebt, bei dem das tatsächlich auch so funktionierte. Weder die Welt noch die Nutzpflanzenvielfalt lassen sich mal kurz eben mit wenig Aufwand und ohne Kosten retten.

Der VEN ist nun schon seit über 25 Jahren auf dem Rettungsweg, die Patenschafts-AG immerhin seit 6 Jahren. Wenn man bedenkt, dass viele Nutzpflanzen erst im zweiten Jahr Samen ausbilden, und dass es Jahre braucht, um eine Sorte unter allen möglichen Bedingungen kennen zu lernen, und man sich dann noch klar macht, dass jede einzelne Selektion das Ergebnis eines ganzen Jahres Arbeit ist, dann wird auch klar, dass Erhaltungsarbeit in Jahren und nicht in Monaten zu rechnen ist. Das veränderte Klima, Krankheiten und Schädlinge können dabei den Erhaltungsprozess stoppen oder sogar zunichte machen, insbesondere zu Beginn der Vermehrungsarbeit. Welche Probleme mit der zunächst oft begeistert übernommenen Aufgabe verbunden sein können, sollen Beispiele verdeutlichen.

Eine Patin, die sich in der nächsten Zeit verstärkt um ihr krankes Kind kümmern muss, hat ihre Beobachtungen, eine Sortenbeschreibung und Saatgut von einem Salat zurückgegeben. Im Gespräch erinnerte sie daran, dass das erste und zweite Saatgut aus der Genbank nicht keimte, erst die dritte Lieferung, im dritten Jahr der Patenschaft, ergab Pflanzen, die allerdings nicht einheitlich Köpfe bildeten. In den über 5 Jahren, die sie diese Sorte betreut hat, hat sie sich bemüht, die Bildung von schönen und großen Köpfen zu fördern. „Die letztjährigen Salate sahen super aus“, sagte sie im Gespräch,  „gern hätte ich sie geerntet, aber ich wollte ja noch mal Saatgut zurück geben.“ Mit dem Saatgut gibt sie auch viele hilfreiche Beobachtungen und eine ausführliche Beschreibung mit, die helfen kann, diese Sorte weiter zu erhalten. Geduld und Zeit werden aber weiterhin nötig sein, denn die Sorte wechselt den Standort und muss sich damit unter veränderten Bedingungen bewähren.

Vor Jahren hat die Patenschafts-AG eine Buschbohnensorte angeboten bekommen, die seit über 140 Jahren an einem Standort angebaut wurde. Mit dem Bau des Hauses kam damals die Buschbohne in den Garten und wurde jährlich angebaut. Die Besitzerin beschrieb die Besonderheit der Sorte als eine, die regelmäßig beerntet, weiter blüht und die es vor allem aushält, wenn sie wegen Urlaubsreisen auch mal drei Wochen Trockenheit aushalten muss. Eine solche Sorte mit derart viel versprechender Beschreibung haben wir schnell in Patenschaft vermitteln können, so eine Superbohne will fast jeder. Hatte die Bohne am Originalstandort 140 Jahre Zeit, sich an den Boden und das örtliche Klima zu gewöhnen, so ist sie am neuen Standort schon im ersten Jahr unter gegangen und die Enttäuschung bei der Patin war entsprechend groß: „Ich dachte, sie wäre so robust“.

Da die ersten drei Jahre die schwierigsten sind, wird nicht alles Saatgut weiter gegeben, und so ist es auch bei anfänglichen Misserfolgen möglich, die Sorte an anderer Stelle neu auszuprobieren. Wieder vergehen zwei bis drei Jahre , bevor man den Erfolg abschätzen kann. Immer wieder erleben die PatenbetreuerInnen, dass Geduld und Zeit von Seiten der Paten nicht vorhanden sind. Dabei ist der Anbau selbst noch relativ einfach, er unterscheidet sich oft kaum vom bisherigen Wirtschaften. Schwieriger wird es dann mit der Saatgutgewinnung, denn hier muss ja auf die schönste Ernte für die Küche verzichtet werden, um sie dann für Saatgut als Investition in die Zukunft zu bekommen. Wichtig ist auch immer das Wetter und der richtige Zeitpunkt der Samenernte. Was aber auch von versierten Gärtnern nur selten geleistet werden kann, sind genaue Beobachtung und Dokumentation. Beides verlangt die Beschäftigung mit eher als langweilig empfundener Theorie und Zeitaufwand in der schönsten Anbauphase. Viele denken auch im Eifer des Gefechts nicht daran, und wenn im Winter dann die Zeit dafür wäre, ist vieles verloren oder vergessen.

„ Ganz ehrlich, die Winterkefe hatte ich letztes Jahr ausgesät und wir haben viel Saatgut geerntet, das jetzt wieder ausgesät ist. Aber...an Dokumentation habe ich nichts getan. Andere Dinge waren immer wichtiger, ...daher würde ich gerne nicht mehr offiziell Patin sein.“ So stehen wir immer wieder vor der Entscheidung, was als minimale Mitarbeit zu fordern ist. Reicht die Erhaltung im Garten? Immerhin wird so die Sorte erhalten. Aber ohne Beschreibung gibt es keine Sicherheit, in wie weit es die eigentliche Sorte überhaupt noch ist. Ohne sorgfältige Dokumentation können auch Verwechslungen mit ähnlichen Sorten nicht ausgeschlossen werden, nur selten wird ja von einer Art nur eine Sorte im Garten angebaut.
Ohne Dokumentation ist der Erhalt also wenig wert. Wenn ich nicht weiß, wie eine Sorte genau aussieht, kann ich nicht feststellen, ob und wie sie sich verändert hat, kann ihre Qualitäten nicht benennen. Das Saatgut ist schwerer zu vermitteln, wenn nicht bekannt ist, wie hoch wächst die Sorte, muss der nächste Pate ein Gerüst einplanen?  Mit der Rückgabe von Saatgut durch den Paten fangen für die Betreuer die Fragen an: Ist das tatsächlich die ausgegebene Sorte? Liegt das etwas andere Aussehen des Saatguts am anderen Standort, an den Bodenverhältnissen, an der Lagerung oder ist es gar nicht die Sorte? Die Weitergabe von Saatgut durch die Paten über den Gartenzaun hinweg ist wichtig und erwünscht, denn so verbreiten sich die alten Sorten. Es ist aber nur ein kleiner Teil des Ganzen. So wie früher mit dem Saatgut auch das Wissen um das „WIE“ von Generation zu Generation weitergegeben wurde, muss es heute ebenfalls zusammen bewahrt und weiter gegeben werden.
Dazu kommen die klimatischen Veränderungen, die sich auch jetzt schon durch eine deutliche Zunahme der Extreme bemerkbar machen. Hier können sich die die Qualitäten einer Sorte erst so richtig beweisen. Eine Stangenbohne, die eine Woche im Wasser stehen musste und nicht daran eingegangen ist, die dabei möglicherweise nicht mal an Pilzkrankheiten litt, die hat Seltenheitswert. Aber so etwas erfahren wir nur, wenn wir uns die die Zeit nehmen und die Geduld haben, Wetter und Wachstum genau zu beobachten und zu beschreiben, und es damit anderen Menschen zugänglich zu machen. Genbanken betreiben allein Saatgutgewinnung und damit Erhalt, einzelne Sorten werden zum Teil erst nach 30 Jahren wieder angebaut und vermehrt. Eine permanente Anpassung an das sich verändernde Klima ist so nicht möglich, eine Selektion auf alle Merkmale der Sorte auch nicht. Qualitäten können nur mit regelmäßigem Anbau und Dokumentation erkannt werden.
Unsere Paten sind die (Be-)Hüter der Sorte, und das bedeutet Beobachten, Kümmern, Pflegen und Umsorgen, und dabei auch das Sammeln von Wissen über ihre Patensorte. In Zeiten, in denen alles immer schnell gehen soll, die berufliche Belastung größer wird, ist sowohl die Muße zur Beobachtung als auch die Fähigkeit zum Schauen und Beschreiben des Gesehenen weitgehend verloren gegangen. Deshalb ist es aus unserer Sicht eine große Leistung, wenn Paten das vorbildlich schaffen und wenn es nur für eine einzige Sorte ist.

In Anfragen von Interessierten wird oft über die große Fläche, die zur Verfügung steht, berichtet und dass diese mit den vielen erhaltenswerten Sorten gefüllt werden kann. Wer weiß, wie aufwändig der erfolgreiche Erhalt ist, weiß auch, das hier Abstriche nötig sind. Nicht alle haben einen grünen Daumen oder den Gemüseanbau bei Oma gelernt, viele wollen alles auf einmal, spanisch lernen, Tango tanzen, beruflich aufsteigen und die Welt in Form einiger gefährdeter Nutzpflanzen retten. Ein bekannter Botaniker, der Wildpflanzenkurse gibt, hat den Vorschlag gemacht, „lernen sie diese Woche eine Wildpflanze kennen und in der nächste Woche eine zweite“. Wissen wächst langsam, es braucht eine Basis und dann kommt langsam Eines zum Anderen. Eine Wildpflanze kann ich öfter antreffen, wieder erkennen, kann irgendwann auch sagen, ob sie typisch aussieht oder besonders. Auch eine besondere Nutzpflanze kann ich nur langsam erfassen und wenn ich gleich mit zehn verschiedenen Tomatenpflanzen beginne, kann ich nicht unbedingt sagen, wie die Blätter der einzelnen Sorten aussehen. Da braucht es Zeit und Geduld, das Wissen zu erwerben. Aber jeder Experte hat mit Basiswissen begonnen und so hat jeder mit genügend Geduld und Interesse an der Sache die Chance, entsprechendes Fachwissen zu entwickeln.

Für die Paten sind beim VEN ehrenamtliche PatenschaftsbetreuerInnen die Ansprechpartner. Sie begleiten durch die fünf Jahre und sind da, wenn es Fragen oder Probleme gibt, wenn zum Beispiel Krankheiten oder Schädlinge auftreten. Bei ihnen landen die Beobachtungsbögen, aus denen sie mit Hilfe der Paten Sortenbeschreibungen anfertigen.  Hilfreich für diese Tätigkeit ist es, selbst Pate gewesen zu sein und auch erlebt zu haben, dass nicht alles sofort funktioniert. Betreuerinnen wissen, dass es Saatgut aus der Genbank geben kann, welches nicht keimt, und dann gibt es neues Saatgut und moralische Unterstützung für die dann oft sehr geknickten Paten. Als Betreuerin ist Fachwissen gefragt, aber keine Ausbildung als Gärtnerin oder ein Studium der Agrartechnik. Fachwissen hat auch die, die jahrelang unter verschiedenen Bedingungen selbst Gemüse angebaut hat. Hilft das eigene Wissen nicht weiter, müssen die Kolleginnen oder Fachbücher herhalten. Detektivische Fähigkeiten und rechtzeitige Beweismittelsicherung sind bei Problemen überaus hilfreich. Für die Betreuungsarbeit sollte man zudem gern mit Menschen kommunizieren, das Gegenüber auch mal aus der Schüchternheit herausholen können, mahnen und ermuntern, fragen und antworten, und manchmal auch einfach nur warten und hoffen.

Eine Betreuung ist zeitaufwändig, nebenberuflich sind vor allem in der Anfangszeit kaum mehr als 5 -10 Betreuungen zu schaffen. Das bedeutet aber bei 50 neuen Paten, dass irgendwie mehr als fünf neue BetreuerInnen gefunden und auch eingearbeitet werden müssen. Für die Patenbetreuungsgruppe ist das
eine immer währende und nie befriedigend zu lösende Aufgabe. Aufgrund fehlender geeigneter Betreuerinnen haben wir auch schon einmal ein Jahr gar keine neuen Patenschaften vergeben. Jetzt gibt es wieder Patenschaften, aber der Fokus liegt deutlich mehr auf  Qualität und Kontinuität, statt auf Masse.

Das Einstiegsseminar für neue Paten ist ein neuer Baustein auf diesem Weg, zumindest die Anfangsprobleme bei der Übernahme einer Patenschaft zu reduzieren und eine gewisse Qualität in der Arbeit zu gewährleisten. Im März wurden in Witzenhausen 35 Menschen über die Aufgaben und unsere Hilfsmöglichkeiten im Rahmen der Patenschaft informiert, es wurden die neuen Patensorten, die Patenschaftserklärung und Beobachtungsbögen vorgestellt und erklärt und viele Fragen der Teilnehmer beantwortet. Nicht alle Anwesenden sind auch Pate geworden. Einige haben für sich festgestellt, dass es für sie jetzt noch nicht passt. Die Vergabe der Sorten, die sich sonst oft über Wochen hinzog und viel Zeit und Kraft gebunden hat, konnte dort innerhalb kurzer Zeit erledigt werden. Da die Arbeit der Patenschafts-AG ausschließlich von ehrenamtlich und nebenberuflich Tätigen geleistet wird, ist es besonders wichtig, auf eine zeit- und resourcensparende Arbeitsweise zu achten. Es ist sinnvoll, zu Beginn und vor Übernahme einer Patenschaft zu wissen, was damit verbunden ist. Problem bei allen angebotenen Veranstaltungen ist immer der weite Weg. Diesem Problem versuchen wir durch den jährlichen Ortswechsel der Veranstaltung zu begegnen- in 2015 sind wir dann Gast in der Ökostation in Neugattersleben in Sachsen-Anhalt.

Erfolg und Qualität der Arbeit beim Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt hängen wesentlich von der Betreuung der Paten ab. Je genauer Paten wissen, was auf sie zukommt, je besser sie die Zusammenhänge zwischen Erhalt und Dokumentation verstehen, je vertrauensvoller sich die Zusammenarbeit zwischen Paten und Betreuer gestaltet und je mehr Wissen über die Kulturen wir an die Paten weiter geben können, desto besser kann der VEN seinem eigentlichen Vereinszweck, nämlich der Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt nachkommen. Auch wenn die Förderung der biologischen Vielfalt, der Erhalt des Schatzes der Kulturpflanzenvielfalt in allen politischen Programmen steht, es gibt dafür nicht selbstverständlich Anerkennung und ausreichende finanzielle Förderung. Ziel muss es sein, dass für diese Aufgaben auch Mittel für Personalkosten bereitgestellt werden und nicht nur für Projekte, die zeitlich befristet sind. Wenn Betreuer aus finanziellen Gründen ihre Arbeit für den VEN nicht ausweiten oder aber so ausüben können, wie es notwendig und wünschenswert wäre, gehen auch immer wertvolle personelle Ressourcen verloren. Fachlich und sozial kompetente Menschen mit hinreichend finanziellem Polster und entsprechender Unabhängigkeit von jeglicher anderer Arbeit aber dafür viel freier Zeit sind leider nicht in Sicht. Der Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt braucht Zeit und Geduld und leider auch Geld. Die Welt wird nicht mal schnell und nebenher gerettet, und das gilt auch für den Bereich Nutzpflanzenvielfalt. Wer etwas anderes glaubt, lebt in Illusionen.

Patenschafts-AG
Dezember 2014
Kornelia Stock, Andrea Heymer, Ursula Reinhard